Severin Rech in Hongkong (Foto: Severin Rech)
Studieren zwischen Protesten

In Hongkong wird seit Monaten heftig demonstriert. Die Menschen gehen für mehr Demokratie und Menschenrechte auf die Straße. Seit Oktober ist die Lage unübersichtlicher geworden, die Polizei wird immer aggressiver. Weil die Proteste auch von Studierenden ausgehen, wurden auch schon Unis besetzt. Severin hat trotz der Proteste ein Auslandssemester in Hongkong gemacht.

Vor knapp zwei Wochen ist Severin Rech wieder zurück in seine Heimat Marpingen gekommen. Eigentlich hätte der 21-Jährige Lehramtsstudent noch einige Wochen länger in Hongkong bleiben sollen, dann wurde ihm die Lage aber zu gefährlich. Insgesamt hat er nun drei Monate in Hongkong verbracht. Im Interview hat er von seinen Erfahrungen erzählt.

Severin, wie war die Lage in der Stadt als du angekommen bist?

Die Demos waren schon spürbar, klar. Das hatte ich auch durch die Nachrichten mitbekommen, da waren dann bis zu einer Million Menschen auf der Straße. Aber es war alles noch sehr friedlich. Zum Ende des Semesters hin wurde es dann ein bisschen hektisch und chaotisch. Die Demos haben sich eigentlich immer an einen Protestplan gehalten. Der ist in den letzten Tagen vor meinem Abflug ein bisschen auseinandergefallen. Man wusste dann nicht mehr wann und wo Demos sein würden. Und zum Ende hin wurde außerdem die Unis zur Zielscheibe, da sind dann auch Molotowcocktails am Campus geflogen.

Severin Rech (Foto: SR)
Severin Rech

Warst du in Situationen, in denen du Angst hattest?

Ich habe mich von den Protesten größtenteils ferngehalten. Trotzdem habe ich natürlich sehr viel mitbekommen. Angst hatte ich aber während meines Aufenthaltes nie.

Haben die Demos dich trotzdem beeinflusst?

Klar! Auf ganz viele Arten und Weisen. Ich hab in einem Wohnheim gewohnt, mit meinen Kommilitonen da habe ich viel über die Demos geredet, viele von ihnen waren auch aktiv dabei. Extrem beeinflusst wurden durch die Demos auch die öffentlichen Verkehrsmittel. Das war dann sehr eingeschränkt, man kam nicht mehr wirklich raus und die U-Bahn hat früh aufgehört zu fahren. In Hongkong sind die öffentlichen  Verkehrsmittel total wichtig, deswegen hat man das dann sehr gemerkt.

Und auch an deiner Uni hast du was von den Demos gespürt…

Es gab viele Graffitis an meiner Uni, weil die Demonstrierenden oft relativ jung sind, sind das auch viele Memes. Und Unis sind ja generell oft politisch aufgeladen, deswegen war das ein großes Thema. Die Demonstranten haben auch zum Teil die Unipräsidenten zu Statements aufgerufen.

Ein Graffiti der Symbolfigur "Pepe the Frog" in Hongkong (Foto: Severin Rech)
Ein Graffiti der Symbolfigur "Pepe the Frog" in Hongkong

Es sind aber nicht nur Studierende, die demonstrieren, oder?

Nein. Dieser Protest geht durch die komplette Gesellschaft. Da wurden schon 14-Jährige verhaftet, aber auch Leute über 80. Es geht auch gar nicht um eine politische Stellung, sondern es geht den Leuten um Freiheit. Das war für viele die Motivation. Die Menschen haben dort keine echten Wahlen, ihre Freiheit ist eingeschränkt. Sie wollen als Hongkonger nicht ihre Freiheit aufgeben, also kämpfen sie dafür.

Was ist denn die Rolle der Polizei bei den Demos?

Demos in Hongkong sind ganz anders als in Deutschland. Hier gibt es ja immer zwei Lager gegeneinander und die Polizei steht dazwischen und passt auf, dass die sich nicht zu nahe kommen. In Hongkong hieß es eher: Demonstranten gegen die Polizei. Die Polizei ist dort der lange Arm der Regierung. Gegen Ende war es auch gar nicht mehr sicher, dass es Polizei war, denn die Leute haben sich nicht mehr ausgewiesen… sie hatten auch keine Kleidung mehr an, an der man das hätte erkennen können. Und auch das hat die Lage bedrohlicher werden lassen.

Kennst du Leute, die verletzt oder verhaftet wurden?

Verletzt ist jetzt ein großes Wort, ich habe natürlich Leute kennengelernt, die Tränengas abbekommen haben. Und auch einen, der mal kurz verhaftet war und in Untersuchungshaft gekommen ist. Und da haben sich schon viele mal einen gefangen während der Demos. Bekannt ist die Geschichte von einem Mädchen, die ein Beanbag - also ein Päckchen, das mit Bohnen gefüllt ist – abbekommen hat. Sie ist dadurch erblindet. Auch von ihr gab’s ein Graffiti in der Nähe von meinem Wohnheim. Und ein Zeichen des Protests ist seitdem, sich zwei Finger vor ein Auge zu halten, um die Blindheit zu zeigen.

Symbol für Polizeibrutalität in Hongkong (Foto: Severin Rech)
Symbol für Polizeibrutalität in Hongkong

Wie stand deine Familie zu deiner Entscheidung, nach Hongkong zu gehen?

Die wussten, dass sie mich nicht aufhalten konnten. Ich habe ihnen versprochen, mich von den Demos fernzuhalten, das habe ich auch gemacht. Und als es dann jetzt wirklich brandgefährlich wurde, da hab ich ja auch entschieden, zu gehen. Ich war aber auch wirklich kein einziges Mal in Gefahr, weil ich mich immer informiert habe.

Das fiel mir auch relativ leicht, weil meine Uni wegen der Demos das Semester vorzeitig beendet hat. Also hatten wir keine Seminare mehr, es wird jetzt alles online gemacht. Ich kann also online weiter studieren und mein Semester von hier aus abschließen.

Würdest du wieder nach Hongkong gehen?

Auf jeden Fall. Ich würde immer wieder nach Hongkong gehen, die Stadt ist der Wahnsinn. Und auch wenn das zynisch klingt, war das alles sehr interessant. Insgesamt war mein Semester zwar sehr geprägt von den Demos, aber wenn mal keine waren, war die Stadt atemberaubend schön. Und ich hätte mich sehr geärgert, hätte ich mir das entgehen lassen.


Einen Überblick zur Situation in Hongkong gibt es hier.


Über dieses Thema wurde auch in der UNSERDING-Show mit Moritz am 3. Dezember 2019 berichtet.