Welche jungen Musikerinnen und Musiker machen in diesem Jahr von sich reden? Wer steht kurz vor dem Durchbruch? Dafür wagt jetzt die Hotlist „New Music 2023“ der jungen ARD-Programme und Deutschlandfunk Nova eine Prognose. Gemeinsam präsentieren sie die wichtigsten neuen Musik-Acts aus Deutschland, bevor im Herbst dann bereits zum 16. Mal der „New Music Award“ verliehen wird.
Mit viel Melancholie und mediterran-sommerlichem Flair singt die Deutsch-Belgierin Anaïs ein weiteres Mal Hannover auf die Pop-Landkarte.
Irgendwie klingt Anaïs Musik so gar nicht nach Hannover. Eher nach Sonnenuntergängen an der Côte d’Azur oder anderen romantischen Sehnsuchtsorten unterkühlter Tiefebenenbewohner. Womöglich liegt es an ihren belgischen Wurzeln und der entsprechend mehrsprachigen Sozialisation, dass die Durchstarterin aus Hannover mit dem klanglich und ästhetisch schönen Vornamen Anaïs so international und im wahrsten Sinn des Wortes sinnlich klingt.
Mit einem Track über Gewalt in Beziehungen sprach Ayliva Millionen im Netz aus der Seele und befreite sich selbst, auch musikalisch, erfolgreich von einem Trauma.
Musik ist vor allem immer dann gut, wenn sie aufrichtig und authentisch ist. Im Idealfall so echt, dass sich Artist und Fans in ihren Erfahrungen und Emotionen spiegeln. Perfektes Beispiel: Ayliva aus Recklinghausen. Die deutsch-türkische Sängerin veröffentlichte im Frühjahr 2021 den Track „Deine Schuld“, in dem sie ihre Erfahrungen einer toxischen Beziehung schilderte, in der ihr Partner sie unter anderem auch davon abhalten wollte, Musik zu machen. Die mit Trap-Beats unterlegte Klavier-Ballade traf einen Nerv. Innerhalb weniger Monate knackte „Deine Schuld“ die Millionen-Marke bei YouTube, mittlerweile steht das Video bei über 20 Millionen Aufrufen.
Mit seiner Crew 102Boys zerfeierte Chapo bisher noch jede Party. Aber irgendwann ist auch mal Schluss mit Suff, denn ein nüchterner Chapo102 hat viel zu erzählen.
Da staunte die Rapwelt 2022 nicht schlecht, als mit Chapo102 ausgerechnet einer der Sauf- und Krawallbrüder der Crew 102Boys eines der nachdenklichsten Alben des Jahres veröffentlichte. Auf den 14 Tracks von „Countryclub“ macht sich Jascha Schmuhl, wie Chapo eigentlich heißt, nämlich ernsthaft und aufrichtig Gedanken um das, was abseits des von seiner ostfriesischen Gang so gern zelebrierten Fickensaufenballern-Way Of Life im Real Life passiert. Mit einer Menge Feature-Namen auf der Gästeliste (u.a. Luna, Kasimir1441, badchieff), die klar machen: hier hat einer Bock auf mehr, als nur ewiger „Asozialer Allstar“ zu sein.
Von wegen ewiger Outlaw: mit der Power des Pop wird die junge queere Berlinerin mit kubanischen Wurzeln zum Postergirl einer Generation auf der Suche nach sich selbst.
Angefangen hat es bei Cloudy June ausgerechnet mit Death Metal. Mit 16 bringt sich Claudia Terry Verdecia aus Berlin-Schöneberg Screaming-Techniken wie das Grunting bei, um sich als Sängerin einer Metal-Band den im Leben einer Außenseiterin angestauten Frust wegzuschreien. Mit 19 sieht die Tochter einer kubanischen Mutter dann aber ein, dass ihre Stimmbänder auch für subtilere Gesangspraktiken taugen und Claudia entdeckt schließlich den Pop für sich, den sie eigentlich immer schon mochte, als geeignete kreative Ausdrucksform für sich aber erstmal zulassen lernen musste.
Selbst ist die Frau! Als Produzentin und Interpretin in Personalunion gönnt sich Dilla musikalisch die absolute Freiheit.
Dilla überrascht. Weil sie mit jedem neuen Track garantiert das Gegenteil des vorherigen Tracks ausprobiert. Das fordert heraus, klar. Macht aber nicht nur ihr selbst, sondern auch den Hörer*innen ultrafun, wenn man sich einfach mal auf diese totale musikalische Unberechenbarkeit einlässt. Bei Dilla kann alles passieren: housiger Rap, raviger Wave, schlageriger Pop und wenn alle Stricke reißen: auch einfach mal eine komplett nackige Klavierballade wie „Junge“, die beweist, dass diese junge Wahlberlinerin musikalisch mit jeder Note weiß, was sie da tut und was sie bei den Hörer*innen damit auslöst.
Mindestens triple-bödig hat Domiziana innerhalb kürzester Zeit Standards gesetzt, was massenkompatiblen Hyperpop mit Hirn und Herz angeht.
Freiburg. Catania. Berlin. Soweit die Stationen im bisherigen Leben der neuen deutschen Hyperpop-Queen Domiziana. Geboren im Breisgau zog die Tochter einer Italienerin und eines Deutschen im Alter von sieben Jahren nach Sizilien, um dort an den Ausläufern des Ätna ihre Kindheit und frühe Jugend in einer katholischen Schule zu verbringen. Schon früh ist klar: Domiziana hat viele Talente. Als Kind lernt sie Geige und widmet sich begeistert dem Kunstturnen und der Leichtathletik. Ungefähr mit 14 entdeckt sie das Internet und in diversen Communities die vielfältigen Möglichkeiten des Pop. Entsprechend vorbereitet, hält sich der Kulturclash in Grenzen, als sie mit 17 Jahren mit ihrer Familie das familiär geprägte Sizilien verlässt und im Pop-Molloch Berlin landet.
Junger Stuttgarter Skateboarder entdeckt die Liebe zum unterkühlten Post-Punk der frühen 80er und wird über Nacht zur Speerspitze eines neuen Wave-Hypes.
Wer einmal eher beiläufig und semi-interessiert auf einem Edwin Rosen-Konzert landet, der mag sich die Augen und Ohren reiben: singen da wirklich gerade alle Leute voller Inbrunst die Songs dieses schlürfig wirkenden Typen von vorn bis hinten mit? Selbst der Typ auf der Bühne scheint sein Glück noch nicht ganz fassen zu können, dass er mit seinen Songs die Menschen so zu packen kriegt. Von Anfang an hat die Erfolgsgeschichte des Edwin Rosen etwas magisch Märchenhaftes. Im Jahr 2020 - wir befinden uns mitten im Lockdown - lädt der junge Stuttgarter Skateboard-Aficionado und Musiker seinen ersten Track „leichter//kälter“ bei Spotify hoch. Und kurze Zeit später geht der minimal produzierte Song durch die Decke. Der Hype ist losgetreten.
Mit dem New Music Award als „Newcomer des Jahres 2022“ im Schrank tobt sich ENNIO mittlerweile sehr selbstbewusst durch die Stilschubladen des Pop.
Was für ein Blitzstart! Noch Ende 2021 besaß eine gewisse Komponistenlegende mit Nachnamen Morricone das Assoziationsprivileg von Ennio und Musik. Jetzt, anno 2023 ist der Münchener Ennio Frankl mit groß geschriebenem Vornamen zumindest bei Menschen unter 30 als Namensplatzhirsch gesetzt. Dabei ist ENNIOs Karriere eine klassische Corona-Geschichte. Denn eigentlich lief es für sein englischsprachiges Solo-Projekt Emotional Club bis zum großen Cut 2020 gar nicht so schlecht. Aber dann so mitten im Boreout des ersten großen Lockdown bahnten sich im Songwriter Ennio Frankl Gefühle ihren Weg, die direkter, konkreter und sprachlich ungefilterter raus mussten: die Stunde null für den Musiker ENNIO.
Innerhalb weniger Monate haben sich die Brüder Lucas und Felix als Fast Boy einen Namen als „Favourite Feature Act“ in der Dance-Szene gemacht. Ein mehr als guter Ausgangspunkt für den Breakthrough 2023.
Meduza, Alle Farben, Ofenbach, Hugel, Martin Jensen. Die Liste der Acts, mit denen die Brüder Lucas und Felix Hain im Jahr 2022 Tracks produziert haben, könnte klangvoller kaum sein. Und egal, ob es der Ofenbach-Hit „Love Me Now“ oder der Meduza-Track „Bad Memories“ ist: die Songs tragen spürbar die musikalische Handschrift des Duos. Denn Lucas und Felix haben neben ihrem Händchen für viby Dance-Tracks ein besonders feines Näschen für sehr eingängige Pop-Melodien. Was sie bereits als Duo „Oh Brother“ bewiesen haben.
Seit frühester Kindheit stehen bei Levent Geiger alle Zeichen auf Pop-Karriere. 2023 könnte es für den charismatischen Münchener durch die Decke gehen.
Levent Geiger atmet Musik. Und das auf einem schwindelerregend hohen Niveau. Hier mal ein kurzer Überblick über die musikalischen Karriere-Highlights des wohlgemerkt gerade mal 19-jährigen aus München: mit fünf lernt Levent Schlagzeug, mit acht entdeckt er das Instrument seines Papas, das Piano für sich. Mit neun nimmt er – natürlich gleich mehrfach erfolgreich – am Wettbewerb „Jugend musiziert“ teil. Levent gilt daraufhin als einer der größten Klaviertalente und spielt sogar im Vorprogramm des Klassiktitans Lang Lang.
Verstrahlter Berliner Skateboard-Freak mit Nummer Eins-Hit in der Vita chillt zu sonnigen Beats und gibt einen Fick auf den Breakthrough. Diese Attitude hat Makko schon weit getragen.
Skaten und Rap: das war schon immer ein perfektes Match. Und wenn man Makko in seinen Skatevideos ziemlich hart flippen sieht, dann spürt man, dass dieser Typ mit der markanten Zahnlücke (ob er sich die beim Skaten zugezogen hat, konnte bisher noch nicht final eruiert werden) dafür brennt. Mindestens genauso aber brennt Makko für seine Musik. Dafür hat er sogar seine Ausbildung zum Ergotherapeuten abgebrochen. Support für das Mucke-Ding kriegt er von seinen Freunden, von denen der eine ihm beim Produzieren, ein anderer ihm beim Drehen der Videos unterstützt. Alles bleibt damit im Makko-Umfeld. Entsprechend unkoordiniert – weil halt DIY - released Makko wild in der Gegend umher.
Dank des Essener Duos haben Producer mittlerweile auch das Zeug zum Popstar, mit hohem Wiedererkennungswert dank eines legendären Loredana-Oneliners.
„Miksu Macloud. Was für’n Beat“ – dieser von Loredana eingesungene Vocal Tag begleitet seit Jahren die Erfolgsgeschichte des Deutschrap. Denn kaum jemand hat diese Story musikalisch so nachhaltig mitgeprägt, wie die beiden aus Essen stammenden Produzenten Miksu und Macloud. Trotzdem haben sie sich erst im letzten Jahr als eigenständige Interpreten etablieren können bzw. wollen. Denn bis dahin fungierten die beiden vor allem als verlässliche Beat-Lieferanten, die Capital Bra, Luciano, Apache 207 und Co passgenaue Tracks auf den Leib zuschnitten und damit Dauergast in der Modus Mio-Playlist waren.
Musik ist immer noch die beste Therapie – mit ihrem Soloprojekt bündelt die Musikerin Sophie Sebald ihre vielen Inputs in einem Pop-Allheilmittel.
Pop war und ist immer schon der beste Soundtrack zum stetigen Wandel, zum Kommen und Gehen, zu den Ups & Downs des Lebens. Allerdings ist der Weg zu dem Punkt, das Schwere musikalisch leicht klingen zu lassen, ein sehr weiter. Sophie Sebald aka PANTHA hat sämtliche Hürden genommen und es geschafft, einen sehr individuellen Dark-Pop zu kreieren, der sich sowohl textlich als auch musikalisch relevant anfühlt. Die Kolleg*innen von DAS DING hat sie damit so sehr überzeugt, dass sie Pantha 2022 als beste Newcomerin für den New Music Award nominiert haben. Und dort hat Sophie auf jeden Fall abgeliefert.
Inspiriert vom Americana-Indie-Rock a la The War On Drugs oder Sam Fender zelebriert die Songwriterin aus Unna die Verletzlichkeiten einer viel zu „losten“ Generation.
Wenn das der „Boss“ wüsste… der Boss ist in dem Fall der mittlerweile 73-jährige Bruce Springsteen. Aber Bruce inspiriert immer noch bzw. mittlerweile wieder Musiker*innen in ihren frühen Zwanzigern zum schwelgerischen Storytelling im Klangbad der Gitarre. So wie Philine Sonny aus der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Unna. Selbst ihr gewählter Künstler-Nachname „Sonny“ – eigentlich heißt sie Bernsdorf – verweist auf einen ihrer Lieblingssongs des großen Meisters.
Irgendwo zwischen 90-iesTrash, Gaga-Humor, Comic, Rave und Deutsch-Rap atzt sich Ski Aggu quer durch die Deutungsebenen des Pop.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch der Rave der 90er Jahre sein großes Comeback feiert. Mit Ski Aggu aus Berlin-Wilmersdorf könnte das Trash-Techno-Revival nun seinen ersten Superstar hervorbringen. Dabei hat der Mann, der sein wahres Antlitz dank spiegeldichter Skibrille unter dem stilechten Mullet (siehe auch Vokuhila) Marke early 90ies bisher geheim halten konnte, 2018 musikalisch mit verstrahltem Cloud-Rap angefangen. Doch dank des Sound-Twists hin zum atzig-verballerten Rave hat sich Ski Aggu auch außerhalb Berlins zum Szene-Hype der Stunde gemausert.